Urban Mining: Rohstofflager aus Abfall

Nach der aktuellen Auswertung des Statistischen Bundesamtes ist das Abfallaufkommen in Deutschland im Jahr 2018 auf 417,2 Millionen Tonnen angewachsen. Nur ein Siebtel davon sind sogenannte Siedlungsabfälle wie Hausmüll, Verpackungen, Papier und Glas, die überwiegend aus kurzlebigen Gütern stammen. Die größte Zunahme um 3,6 % wurde bei den Bau- und Abbruchabfällen verzeichnet. Die Recyclingquote, die den Anteil der stofflich verwerteten Abfälle an allen erzeugten Abfällen bezeichnet, ist mit etwa 70 % nahezu unverändert geblieben.

 

Die direkte Materialnutzung der deutschen Volkswirtschaft liegt bei jährlich rund 1,3 Mrd. Tonnen, wovon nur knapp ein Drittel als Abfall registriert wird. Der überwiegende Teil dieses Materialstroms verbleibt in Gebäuden, Infrastrukturen sowie langlebigen Konsum- und Anlagegütern. Dieses anthropogene Lager stellt mit über 50 Milliarden Tonnen an Materialien eine substanzielle Ressource dar, denn Abfall ist ein Rohstoff, der wiederverwendet und recycelt werden kann. Mineralische Materialien wie Beton, Gips oder Ziegel, Metalle wie Stahl, Kupfer oder Aluminium, aber auch Kunststoffe, Asphalt oder Holz besitzen angesichts der weltweiten Verknappung der Rohstoffe ein großes Potenzial als Sekundärrohstoffe. Hinzu kommt, dass mit der Primärrohstoffgewinnung oftmals hohe Umweltbelastungen verbunden sind.

 

Laut einer Studie des Bundesverbandes Baustoffe – Steine und Erden e.V. werden die Nachfrage im Bausektor und die Produktionserwartungen in den industriellen Abnehmerbranchen wie der Chemie-, Glas- oder Stahlindustrie dazu führen, dass der Bedarf nach primären Steine-Erden-Rohstoffen im Jahr 2035 auf 650 Mio. Tonnen ansteigen wird. Um die Transformation vom ressourcenintensiven, linearen Wirtschaftsmodell zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft zu erreichen, müssen alle Stoffströme entlang der Wertschöpfungskette von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Abfallbewirtschaftung berücksichtigt werden.

 

In einigen Ländern bieten verschiedene Unternehmen Baumaterialien an, die aus Sekundärrohstoffen hergestellt werden. Die niederländische Firma StoneCycling  verarbeitet alten Bauschutt zu Pulver, aus dem neue Ziegel gebrannt werden. Das US-Unternehmen Continuus Materials hat ein Verfahren entwickelt, mit dem aus gebrauchten Getränkekartons ohne den Einsatz von Wasser Tapeten und Dachpappe für Gewerbegebäude produziert werden. NewspaperWood kehrt hingegen den traditionellen Produktionsprozess der Papierherstellung um und kreiert aus alten Zeitungen hochwertige Holzprodukte.

 

Urban Mining, das die Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus langlebigen Produkten, Gebäuden, Infrastrukturen und Ablagerungen bezeichnet, kann als strategischer Ansatz des Stoffstrommanagements helfen, die Potenziale der Kreislaufwirtschaft zu nutzen. Durch die Erschließung des Sekundärrohstoffaufkommens wird die Abhängigkeit von Importen reduziert.
Den Untersuchungen des Umweltbundesamtes zufolge entsteht bei der Stahlproduktion in Deutschland bereits mehr als die Hälfte aus Altschrotten und Schrottabfällen. Durch die selektive Rückgewinnung voni kritischen Technologiemetallen wie den Seltenen Erden Neodym und Dysprosium, die beispielsweise in Generatoren von Windkraftanlagen zum Einsatz kommen, ließe sich die Importabhängigkeit mindern.

 

Die Bewältigung von Rohstoffknappheiten birgt zudem wirtschaftliche Vorteile, da Recycling die inländische Wertschöpfung erhöht und zu erheblichen Kosteneinsparungen im produzierenden Gewerbe führt. Hinzu kommt, dass Urban Mining zur Abfallbewältigung sowie zur ökologischen Entlastung beiträgt. Allein der Primärenergieaufwand, der durch das Recycling von Kupfer, Stahl und Aluminium eingespart wird, entspricht fast drei Prozent des jährlichen Primärenergieverbrauchs Deutschlands. Der Energieverbrauch für die Herstellung von sekundären Aluminium erfordert nur fünf bis zehn Prozent soviel Energie wie die Produktion von Primäraluminium.

 

 

Für das Recycling mineralischer Abfälle, die Herstellung von mineralischen Ersatzbaustoffen aus Bau- und Abbruchabfällen und deren Einsatz in technischen Bauwerken soll mit der Mantelverordnung (MantelV) erstmalig eine bundeseinheitliche und rechtsverbindliche Grundlage geschaffen werden, die auf den Boden- und Grundwasserschutz abzielt. Mit der Mantelverordnung wird eine Harmonisierung der materiellen Maßstäbe des Wasser-, Bodenschutz- und Abfallrechts angestrebt, was sowohl für den Verkehrswegebau als auch die Baustoff- und Entsorgungswirtschaft relevant ist. Neben der neu geschaffenen Ersatzbaustoffverordnung (EBV), die das Kernstück der Mantelverordnung bildet, wird in diesem Rahmen auch die Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung (BbodSchV) erstmals umfassend novelliert.

 

Die Mantelverordnung ist 2017 von der Bundesregierung beschlossen worden. Nachdem diese Verordnung aufgrund einer Vielzahl von erwarteten Änderungsanträgen im Herbst 2017 vom Bundesrat vertagt worden ist, hat das Bundesumweltministerium (BMU) im März 2020 einen überarbeiteten Entwurf zur Ersatzbaustoffverordnung (Artikel 1 MantelV) mit einigen wichtigen Änderungen vorgelegt, womit sich der Bundesrat nach der Sommerpause befassen soll. Sofern Bundesregierung, Kabinett und Bundestag den Änderungen dieses Gesetzesvorhabens zustimmen, das sich seit rund 16 Jahren im Abstimmungsprozess befindet, könnte die Ersatzbaustoff-Verordnung ein Jahr nach ihrer Verkündung in Kraft treten.